Malalais Flucht aus Afghanistan

Malalai

Malalai kommt aus Afghanistan. Dort hat sie Mathematik studiert, konnte jedoch nur 15 Tage als Lehrerin arbeiten bevor sie fliehen musste. Sie ist nicht direkt nach Deutschland gekommen, sondern hat einen langen Weg hinter sich gebracht, bevor sie im Jahr 1996 hier ankam.

Sie ist zunächst 1989 zusammen mit ihrer Mutter und ihren vier Schwestern nach Pakistan geflohen als sie gerade 22 Jahre alt war. Ihr Vater ist zuvor im Krieg gestorben. Geflohen sind sie, da der damalige Präsident gestürzt wurde und es zu einem russischen Regime kam. In Pakistan hat Malalai dann ihren Mann kennengelernt und ihre zwei Kinder bekommen.

Der Grund für die erste Flucht war die sehr schlimme Lage in Afghanistan. Zu dieser Zeit konnte man „nicht mal zum Einkaufen“ rausgehen, da es eine Vielzahl von Raketen und Bomben gab. „Die haben keinen Feind, die haben keinen Freund, die haben gar nichts erkannt“, erzählt Malalai. Mitgenommen haben sie damals nur das Geld, während sie alle anderen Sachen auf dem Dachboden zusammengepackt haben.

Nach 7 Jahren, als es in Afghanistan kein russisches Regime mehr gab, ist sie mit ihrem Mann und den, damals erst 3 & 4 Jahre alten, Kindern zusammen zurückgekehrt. Allerdings war die Situation im Land nun noch schlimmer als zuvor. Aus diesem Grund sind sie dann, unter anderem über Russland, mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Ausgesucht haben sie sich das Land jedoch nicht. „In diesem Moment sagt man sich Sicherheit und das egal wo“, beschreibt sie den Beweggrund.

„Man stellt sich die Frage, ob das Leben wichtig ist oder was man in diesem Land hat. […] Man setzt alles auf eine Karte und dann flieht man“, berichtet Malalai über den Grund für die zweite Flucht. Das Leben ihrer Familie, ihrer Kinder, war wichtiger als alle Besitztümer. Am Flughafen in Frankfurt haben sie zunächst alle notwendigen Schritte eingeleitet und angegeben, dass sie Flüchtlinge sind. „Und dann gingen wir in einen Raum, da waren Brot und Wasser. […] Das fand ich sehr, sehr menschlich, weil man hat das nicht erwartet“, erinnert sie sich. Für Malalai war das eine unbeschreibliche Situation, die ihr noch heute in Erinnerung ist, da es eine unerwartete Geste war, die ihr so unglaublich viel bedeutet hat.

Oft hatte sie das Gefühl „man fällt von Wolken einfach auf den Boden“ und hat plötzlich alles verloren. Aber dann muss man wieder positiv denken: „Ja, Mensch, man muss jetzt aufstehen und nach vorne gehen lernen. […] Man wird auch oft sehr, sehr schlecht behandelt, aber ich hab immer gesagt, ich bin so stark, dass ich von allem Negativen auch was Positives rausziehen kann.“ Die Menschen hier haben einen oft „in eine Schublade gesteckt“, aber Malalai hat sich davon nicht unterkriegen lassen.

Vor ihrer Ankunft in Deutschland konnte sie zwar Englisch, da sie in Pakistan in einer internationalen Firma gearbeitet hat, aber Deutsch konnte sie nicht. Damals hat zuerst ihr Mann einen Sprachkurs gemacht, da es nur zweimal pro Woche einen Kurs gab. Malalai hat sich dann zuhause selbst Deutsch beigebracht, indem sie die Hausaufgaben ihres Mannes noch einmal für sich selbst machte. Außerdem hat sie später eine deutsche Frau kennengelernt, die jede Woche zu ihr nach Hause kam, um Deutsch mit ihr zu lernen. Nachdem die Kinder im Bett waren hat sie jeden Abend 10 neue Wörter gelernt.

Die Arbeitssuche war für sie und ihren Mann nicht einfach. Sie hatten hier keinen Anspruch auf Arbeit, da sie hier keine Ausbildung absolviert hatten. Ihr Mann war in Pakistan Architekt und hat hier zunächst eine Stelle bei einer örtlichen Bäckerei bekommen, konnte später jedoch eine Ausbildung bei einem lokalen Unternehmen absolvieren. Malalai selbst hatte sich zunächst vor allem auf kleinere Stellen beworben, jedoch immer ihr Diplom aus Afghanistan mitgeschickt und wurde aufgrund ihrer Überqualifikation häufig abgelehnt. Letztendlich bekam sie eine Stelle als Büroassistenz in einer Baufirma.

Ihr Wunsch war es damals hier noch einmal etwas zu lernen. Am liebsten wollte sie Ingenieurin werden. Sie war dann auf einer Messe, auf der sich eine FH vorgestellt hat und ist später zu einer Schnuppervorlesung gegangen. Als Nächstes hat sie Kontakt zu einem Dekan aufgenommen, um sich sicher zu sein, dass sie hier studieren kann. Ihr Diplom wurde als Abiturersatz anerkannt und sie begann ein Studium im Baumanagement. Zunächst erzählte sie niemandem von ihren Plänen, erzählte nur ihrem Chef davon und wurde von ihm in ihrem Vorhaben unterstützt. Malalai konnte so neben ihrem Stundenplan mit flexiblen Arbeitszeiten zur Fachhochschule gehen und ihr Studium abschließen. Mittlerweile haben ihre Kinder selbst ein Studium aufgenommen. Ihr Herzenswunsch für die Zukunft ist es ein langersehntes Projekt umzusetzen. Jedoch fehlt ihr dafür das nötige Geld und die Investoren. Was das genau für ein Projekt ist, wollte sie mir nicht verraten. Ich bin gespannt und drücke ihr ganz doll die Daumen und hoffe, dass sie ihren Traum verwirklichen kann.

Vorbilder waren für Malalai immer ihre Eltern. Ihr Vater wollte bis zuletzt in seinem Land bleiben und dafür kämpfen, obwohl er, durch Freundschaft mit dem damaligen Präsidenten, noch kurz vor dessen Sturz das Land hätte verlassen können. Ihre Mutter hat immer die Einstellung vertreten, dass Frauen „stark und unabhängig“ sein sollen und ihren Kindern immer Mut vorgelebt.

In Afghanistan hat sie heute keine enge Verwandtschaft mehr. Ihre Mutter und Schwestern leben in der USA und in Norwegen. Malalai sagt: „Deutschland ist jetzt mittlerweile wie eine zweite Heimat für mich geworden.“ Sie und ihr Mann haben hier zusammen ein Haus gebaut und sie ist jeden Tag dankbar dafür, dass sie es geschafft haben.

Vermissen tut sie an ihrer Heimat trotzdem nicht nur das bessere Wetter. Vor allem sind es die Erinnerungen aus ihrer Kindheit, die man so nicht wiederbekommt. Malalai vermisst außerdem die Einstellung der Menschen gegenüber einem anderen: „Jeder kannte jeden. Dieser Respekt und dass man sagte, ich bin hier wichtig.“

Verrückt an Deutschland findet sie heute nichts mehr. Damals wunderte sie allerdings das Wetter, denn sie hatte im Mai ihre Wintersachen weggepackt und nach zwei Tagen änderte sich das deutsche Wetter wieder und es wurde erneut kalt. „Wenn es bei uns Sommer wird, dann bleibt es Sommer“, lacht sie. Außerdem war es komisch für sie, dass man damals am Sonntag keine Wäsche auf die Wäscheleine hängen durfte.

Malalai ist im Welcome e.V. als ehrenamtliche Helferin tätig. Wenn sie dort ist sieht sie sich jedoch nicht als Helferin, sondern schlüpft wieder in die Rolle des Geflüchteten hinein. Sie sagt dann „wir machen“ und begibt sich mit ihnen wieder auf eine Stufe. Ihre Arbeit im Welcome Café kann sie nicht genau definieren: „Ich mache was ich machen kann […] ich mache meine Augen nicht zu.“ Ihre Aufgaben reichen dann schnell über übersetzen und Ratschläge geben bis hin zu Geburtshilfe im Kreissaal.

Für sie selbst ist vor allem die Gesundheit wichtig, denn „das ist eine Sache, die nicht selbstverständlich ist“. Geflüchteten Menschen rät sie zuerst zu versuchen die Sprache zu lernen, nicht den Mut zu verlieren und Ziele zu haben, um hier glücklich zu werden.